Unterwegs im Kaukasus 10 - Magen-Darm und dünne Luft

Morgens um drei Uhr im Kaukasus

Heute ist also DER Tag, heute geht es auf den Gipfel! Punkt zwei Uhr schälen wir uns aus den Kojen. Wir hatten vorsorglich Schnarcher und Nichtschnarcher getrennt und trotzdem keinen Schlaf gefunden: Die vergangenen Stunden rüttelt ein Sturm an den Botchis, irgendeiner musste immer mal raus zum Pinkeln oder sich im Schlafsack herumwälzen.




Start mit Handicap


Meine Frau hat es besonders schwer erwischt, sie leidet seit Tagen an Darmproblemen und durfte jede Nacht mehrfach auf die hinlänglich beschriebenen Örtlichkeiten. 



Auf dem Herd dampft der Haferbrei, Galina begrüßt uns herzlich. Wir kauen und sind aufgekratzt. Der Sturm hat sich verzogen und einem frostklaren Sternenhimmel Platz gemacht. Es wird uns nicht so gehen wie den Gruppen von Gestern, die wegen Sturm auf halber Strecke abbrechen mussten. Doch noch sind wir nicht oben.

Aufsitzen!



Dann geht alles ganz schnell. Rüsten, packen, aufsitzen. " Guys, Guys, Guys!" Die Pistenraupe röhrt auf, Sultan, unser Fahrer, gibt Gas. Und los geht’s. Die Stimmung ist etwas unwirklich. Gut eine dreiviertel Stunde Fahrt durch absolute Finsternis bis zu den Pastuchovfelsen. Die Kälte ist spürbar, deutlich! Ich sitze direkt am Auspuffrohr, wie herrlich! Wir fahren an unzähligen Gruppen vorbei, die den Aufstieg von unten direkt angehen. Langsam, Schritt für Schritt, ziehen sie hinauf. Ihre Stirnlampen reihen sich zu Lichterketten. Wenn wir hoch zum Gipfel schauen, sieht es ein wenig aus wie eine Autobahn bei Nacht.

Im Sommer mehr ein Taxi: Pistenraupe bei Tag.

"Guys, Guys, Guys!" Oleg treibt uns von der Pistenraupe runter. Wer kann und muss, pinkelt nochmal in den Schnee. Dann steigen wir im Zickzack auf. Oleg an der Spitze, der deutsche Bergführer und Alexej am Ende. Andrea geht vor mir. So hab ich sie im Blick und sie sieht mich nicht. Es ist besser, wenn sie sich auf sich selbst konzentriert und nicht ständig auf mich achtet. Mir schwant da was. Der Durchfall und die Höhe, es war bisher keine Idealvorbereitung. Im Moment jedoch sieht es gut aus, sie hält mit und wir steigen weiter. Immerhin sind wir schon fast bei 4900 Meter.

5000 Meter Seehöhe und keine ADAC - Mitgliedskarte

Sonnenaufgang auf 5000 Meter


Inzwischen zieht sich ein hellblaues Band die Flanke des Berges hinauf, gegenüber sind die Gipfel Georgiens schon rosa angestrahlt. In der Ferne beginnt der Tag, und wir dürfen es von hier oben aus schon sehen. Weiter. Väterchen Frost beißt uns ins Gesicht. Über uns ist die verreckte Pistenraupe zu sehen, irgendwann hier oben liegengelassen und heute erster Pausenstopp für alle Bergsteiger. Ich mache mir Sorgen um Andrea. Sie ist deutlich langsamer geworden, hat eine Lücke in die Gruppe gerissen. An einer Kehre unseres Zickzackkurses bleibt sie stehen und stützt sich auf ihre Stöcke, den Oberkörper weit nach vorn gebeugt, den Kopf tief gesenkt. Wir sind bei 5000 Meter und sie atmet schwer. Ich weiß, hier ist Schluss. Ihr ist schwarz vor Augen, der Magen dreht sich um und die Beine sind weich, es geht nicht weiter. 

Besser gesund unten als tot oben

Wir stehen da, während die Gruppe weitergeht. Unser deutscher Bergführer und Alexej stehen bei uns. Andrea laufen die Tränen unter der Skibrille durch, sie hat Mühe sich auf den Beinen zu halten, schwankt. Alexej könnte mit ihr absteigen und ich könnte weitergehen. Wir müssen das jetzt und sofort entscheiden. Inzwischen sind die Berggipfel ringsum rot erleuchtet. Der Elbrus, unser Ziel, ist in zartrosa getaucht. Man könnte Stunden mit diesem Anblick verbringen, aber es gibt kein Stillstehen am Berg. Wir werden zusammen abzusteigen. Alexej bleibt bei der Gruppe und ich bleibe bei meiner Frau. Gemeinsam haben wir uns für diese Tour entschieden, gemeinsam brechen wir sie ab. Es wäre jedoch eine Lüge zu sagen, ich sei ohne Wehmut abgestiegen.

Hier wohnt der Sultan

Ob ich es dabei bewenden ließ, erfahrt Ihr demnächst

Euer Olaf

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